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2021/2022 – Bunte Vielfalt der Heileurythmie /Eurythmietherapie

Jeden zweiten Monat werden wir in dieser Vielfalt-Rubrik die Heileurythmie-Arbeit aus verschiedenen Ländern und Gebieten vorstellen. Damit möchten wir die Fülle der Heileurythmie/Eurythmietherapie in die Sichtbarkeit bringen.

Im fünften Teil stellen wir Einsatzmöglichkeiten von Heileurythmie/Eurythmie-Therapie in Spitälern vor.

Katherine Beaven: Das Raphael-Krankenhaus

Bevor ich 2006 meine Heileurythmie-Ausbildung in Stroud, UK, abschloss, begann ich im Raphael Medical Centre (später bekannt als Raphael Hospital RH) zu arbeiten. Ich arbeitete dort 13 Jahre lang in Teilzeit, bis es leider den Besitzer und damit auch seine Ziele wechselte und ich meinen Job verlor. Das Raphael-Krankenhaus hatte sich in einem Zeitraum von über 30 Jahren zu einem sehr erfolgreichen stationären Krankenhaus mit 50 Betten entwickelt, das auf neurologische Rehabilitation spezialisiert war.  Ziel war es, eine integrierte und ganzheitliche Behandlung auf der Grundlage des anthroposophischen Menschenbilds anzubieten. Neben dem Kernteam und dem ärztlichen Personal (die meisten waren neu in dieser Denkweise) standen folgende speziell ausgewählte therapeutische Interventionen zur Verfügung: Anthroposophische Medizin, Ernährungstherapie, Musiktherapie, Kunsttherapie, Dramatherapie, Heileurythmie, Cranio-Sacral-Therapie und äußere Anwendungen, zu denen Einreibungen, Öldispersionsbäder und Rhythmische Massage gehören. Das RH befand sich in privater Hand, aber die meisten Patienten waren öffentlich finanziert.  Die meisten von ihnen und ihre Familien wussten bei ihrer Ankunft nichts von den anthroposophischen Therapien, lernten aber im Laufe ihres Aufenthalts diese Perspektive oft sehr zu schätzen. 

Die meisten der von mir behandelten Patienten hatten erworbene Hirnverletzungen, die häufig, aber nicht ausschließlich, auf einen Schlaganfall zurückzuführen waren. Eine Distanz zum Körper konnte in der Regel auf die eine oder andere Weise wahrgenommen werden.  Ich stellte fest, dass die Heileurythmie die Ziele der konventionellen Therapien unterstützen konnte, indem sie dem Patienten half, sich wieder mit seinem Körper zu verbinden und so seine Mobilität, Koordination und Kraft zu verbessern. Sie trug auch dazu bei, die intrinsische Motivation des Patienten zu stärken, sich in der Rehabilitation zu engagieren, was für einen echten Fortschritt in Richtung Genesung unerlässlich ist. Darüber hinaus könnte die Heileurythmie dazu beigetragen haben, Symptome wie Angst und Depression zu lindern, indem ein neuer Wahrnehmungsraum eröffnet, das Selbstvertrauen des Patienten gestärkt und sein Selbstausdruck gefördert wurde. Diese Faktoren, die sich aus meinen Beobachtungen ergaben – siehe meine Masterarbeit über Heileurythmie und Schlaganfallrehabilitation in 2016 -, bestätigten, dass die Heileurythmie ein einzigartiges Potenzial hat, die körperlichen, emotionalen und spirituellen Bedürfnisse eines Schlaganfallpatienten in ihrer Gesamtheit zu erfüllen. Von daher kann sie eine wichtige Rolle bei der Wiederherstellung des Wohlbefindens und der Selbstwahrnehmung spielen. Ich habe festgestellt, dass dies auch bei anderen Patienten der Fall ist, die an den Folgen einer erworbenen Hirnverletzung leiden, sei es aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit. Der mutige junge Mann in diesem Video ist ein solcher Fall.

Heileurythmie/Eurythmie-Therapie in Spitälern etwas Besonderes und eine wunderbare Chance

In der Ita-Wegman-Klinik in Arlesheim, heute Klinik Arlesheim, wurde die Heileurythmie von 1921 bis 1924 in der Zusammenarbeit der tätigen Ärztinnen, Ita Wegman, Margrete Kirchner-Bockholt und Hilma Walter mit Rudolf Steiner entwickelt. Steiner regte für bestimmte Patientent:innen, die  seinerzeit mitunter 3 Monate in der Klinik blieben, konkrete Übungen an, die dann u.A. von Margrete Kirchner-Bockholt, die auch eine Eurythmieausbildung absolviert hatte, angewendet und seitdem weiterentwickelt wurden. In Deutschland und in der Schweiz gibt es Kliniken, in denen die Heileurythmie zum Therapieangebot gehört. Dabei setzt man heute nicht nur auf Einzeltherapie, sondern in zunehmenden Maß auf Gruppenangebote, die sich auf bestimmte Symptomkreise beziehen. Hierzu ein Bericht von Elisabeth Rieger aus dem Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe:

„Die Eurythmie-Therapie in deutschen Kliniken ist heute stark geprägt durch vorgegebene und immer kürzere Liegezeiten der Patienten, was alle therapeutischen Prozesse verkürzt und verstärkt zu Gruppeninterventionen und weniger Einzeltherapie führt. Einzeltherapie ist vor allem liegenden Patienten vorbehalten. Gruppen gibt es für viele wichtige Symptomkreise: Onkologie, Lunge/Atem, Schmerzsyndrome, Depressionen, Psychosomatik, Entzug, Anorexie, Entspannung und bald chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Reizdarmsyndrom. Diese Gruppen sind obligatorisch durch die Eurythmietherapeut:innen durchzuführen. Da ist auch z.T. ein Samstag mit dabei. Für die Therapeutinnen bedeutet das, stets flexibel zu sein, „meine“ Patienten versus Vertretung abzuwägen oder einen längeren Arbeitstag zu haben und Ideen oder Konzepte zu entwickeln, wie man mit dieser Situation inhaltlich umgeht: Macht man in der Gruppe genau die Übungen, wie in der Einzeltherapie? Wie ist die menschenkundliche Situation? Was ändert sich im Aufnehmen der Eurythmiebewegungen, wenn die Menschen in einer Gruppe sind und auch die Bewegungen aller Mitpatient:innen wahrnehmen? Nach welchen Gesichtspunkten gestalte ich die Zeit? Es gibt Gruppen, in denen wir erfahren haben, dass es tatsächlich Sinn macht und gut wirkt, wenn eine Gruppe zusammen ist – wie z.B. bei Schmerz- und Entzugspatienten. Durch den meist kürzeren Aufenthalt vieler Patienten ist der Focus auf eine gute Einführung und Kernübungen gerichtet, die der Patient selbst zu Hause üben kann und auf die Vermittlung zu den ambulanten Kollegen. Der ständige „Kampf“ mit der Zeit ist auch eine Prozessverkürzung in der Therapie und oft können nur „Anfänge“ gestaltet werden. Bei längeren Verweildauern, wie z.B. im palliativen Bereich oder in den Behandlungsprogrammen, die 4 Wochen Aufenthalt vorsehen, gibt es wieder andere Spielräume. Als Kernaussage zu der Eurythmietherapie in Krankenhäusern heute kann man sicher sagen: Zügig auf den wesentlichen Punkt kommen, das Verständnis und Vertrauen in die Therapie unmittelbar herstellen durch das Schaffen einer therapeutischen Situation, in der Patient:innen sich aufgehoben und verstanden fühlen. 
Denn wir stellen fest: die Eurythmietherapie kommt bei den Patienten sehr gut an!“ (redaktionell bearbeitet)

Dass Heileurythmie/Eurythmie-Therapie in Kliniken zum Standardangebot gehört, ist etwas wirklich Besonderes! Wir wünschen der Heileurythmie/Eurythmie-Therapie dort eine inspirierende Arbeit, besonders in den Gruppen: In der Gruppe lernen Patient:innen auch von einander und fühlen sich in ihrer Situation vielleicht nicht so allein. Diese Gruppenangebote sind ein wunderbarer Auftakt für individuelle Therapie in der niedergelassenen Praxis im Anschluss an einen Klinikaufenthalt.