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2021 – Bunte Vielfalt der Heileurythmie /Eurythmietherapie

Jeden zweiten Monat werden wir in dieser Vielfalt-Rubrik die Heileurythmie-Arbeit aus verschiedenen Ländern und Gebieten vorstellen. Damit möchten wir die Fülle der Heileurythmie/Eurythmietherapie in die Sichtbarkeit bringen.

Im dritten Teil möchten wir Heileurythmie/Eurythmietherapie in der Schule in den Fokus nehmen. Das Video zeigt uns die zauberhafte Arbeit in Taiwan.

  • Die Anfänge der Heileurythmie/Eurythmie-Therapie in der Schule (Elisabeth Baumann, zusammengestellt von Ingrid Hermansen)
  • Eine widerstandsfähige Kraft wächst und sammelt sich in Taiwan (Shin-Huei Tseng)
  • Nehmen Sie die Einladung an … (Jitka Čápová)

Die Anfänge der Heileurythmie/Eurythmie-Therapie in der Schule

Die Frage Rudolf Steiners an Henk van Deventer im Frühjahr 1921 in Holland, ob es jemanden gebe, der sich für die Heileurythmie einsetzen kann, wurde von ihm mit dem Hinweis auf Elisabeth Baumann sowie seine zukünftige Frau, Erna Wolfram, beantwortet. Dies führte zu den Vorträgen des Heileurythmiekurses. Bereits in den Jahren vor 1921 hatten sowohl Erna Wolfram als auch Elisabeth Baumann Hinweise von Rudolf Steiner erhalten, wie sie Kinder heileurythmisch behandeln können.

Dass die bewegte, sichtbare Sprache der Eurythmie eine solche ist, die in wahrhafter Harmonie mit den Gesetzen und Bedürfnissen des Geistig-Seelischen und des Leiblich-Physischen steht, das erlebten wir ja täglich an der Selbstverständlichkeit, mit der sie von den Kindern aller Altersstufen erfasst und wiedergegeben wurde. Wir erlebten auch täglich, wie Hemmungen, seien sie im Gebiet des Willens oder im Bereich des Vorstellungslebens, der Denktätigkeit, durch Eurythmie bei den Kindern gelöst, ja beseitigt werden können. Wir hatten es ja an der Waldorfschule fast von Anfang an mit manchen Kindern zu tun, bei denen solche Hemmungen vorhanden waren, oft nur schwach zutage tretend, oft jedoch auch so stark das Wesen des Kindes beherrschend, dass sein Mitkommen im Unterrichtsgang der Klasse nicht möglich war und für diese Kinder eine besondere Hilfsklasse eingerichtet wurde, um die von Rudolf Steiner gegebenen Anweisungen und Ratschläge zur Seelenpflege dieser Kinder ausüben zu können.

Aus manchen Beobachtungen zeigte sich, dass man für solche Kinder in der Eurythmie etwas gegeben hatte, das mehr als alles andere zu ihnen drang, von ihnen unmittelbar ergriffen werden konnte. Und es entstand die Überlegung: Wäre es nicht möglich, Übungen zu finden, die jenem Geistigen, das sich so schwer in seinen Leib hineinverkörpern kann, dem aus dem Leiblichen so große Widerstände erstehen, entgegenkommen und ihm die physisch-leibliche Hülle besser formen, Bewegungsübungen, die die ätherischen Bildekräfte besser eindringen lassen und die plastisch-aufbauende Kraft des Organismus unterstützen?

Aus dem innigen Konnex mit den sogenannten schwierigen Fällen […] entstand der intensivste Wunsch, das hygienische, das heilende Element der Eurythmie zu suchen und zu erfassen. In wiederholten Gesprächen mit der an verschiedenen Orten Deutschlands als Eurythmistin tätigen Erna van Deventer-Wolfram ergab es sich, dass auch sie durch ihre Arbeit in stärkster Weise zu dieser heilenden Seite der Eurythmie hingeführt worden war. Nach einiger Überlegung entschlossen wir uns, Dr. Steiner um Anweisungen für eine solche Heil-Eurythmie zu bitten. Rudolf Steiner ging mit großer Bereitwilligkeit darauf ein und versprach uns, sich die Sache zu überlegen. Nach kurzer Zeit schon erhielten Frau van Deventer und ich die Aufforderung, im April nach Dornach zu kommen, wo er dem Ärztekursus am Goetheanum Vorträge über Heileurythmie anschließen wollte.

An der Waldorfschule wurde begonnen, die Heileurythmie anzuwenden. Meistens waren es Fälle, bei denen wir persönlichen Anweisungen von Rudolf Steiner folgen konnten, andere ergaben sich auf Grund einer im Zusammenarbeiten von Arzt und Lehrer gestellten Diagnose.

Heileurythmie lässt sich nicht mechanisch anwenden, sie verlangt ein fortgesetztes Sich-Einfühlen in den Patienten. Sie ist aus werktätiger Liebe geschöpft, und werktätige Liebe allein kann sie ausüben und fortführen. Sie fordert ein verstärktes Hinhorchen auf den Gesamtorganismus des Menschen. So wie der Arzt horcht auf Herzschläge und Atemzüge, so muss auch derjenige, der Heileurythmie vorordnet oder ausüben lässt, hinhorchen auf das, was der Organismus des Patienten spricht, was nach oben in das Nervensinnessystem, nach unten in das Stoffwechselsystem sich auswirkt, und er muss empfinden lernen, wie hier die eurythmische Bewegung ordnend und heilend eingreift. Auch hier dürfen wir von Rudolf Steiner lernen, die Behandlung eines Kindes aus dem Gesamtwesen desselben zu schöpfen, nie sich an einzelne Symptome zu verlieren, sondern erst aus deren Zusammenfassen und Zurücktragen in die Gesamterscheinung das Wesen der Störung und deren Heilung zu suchen. Er öffnet in seiner Pädagogik dem Lehrer die Augen für die Auswirkung des Geistes im Leiblichen einerseits, für die Rückwirkung des Leiblichen auf die geistig-seelische Konstitution anderseits. […] 

Es war in alten Zeiten,    在古老的時代
Da lebte in der Eingeweihten Seelen    在先知的心魂中
Kraftvoll der Gedanke, dass krank    強烈的活著一種思維
Von Natur ein jeglicher Mensch sei.    每個人天生就有病業
Und Erziehen ward angesehen    而教育被視為
Gleich dem Heilprozess,    等同於療癒的過程
Der dem Kinde mit dem Reifen    它使孩子逐漸成熟
Die Gesundheit zugleich erbrachte    帶來健康
Für des Lebens vollendetes Menschsein    終其一生成為完滿的人

Rudolf Steiner

    -魯道夫• 史代納---

 

Taiwan wurde früher Formosa aus dem Portugiesischen genannt, was "Schöne Insel" bedeutet. Taiwan ist eine Insel in Ostasien und grenzt an das Ostchinesische Meer, das Philippinische Meer, das Südchinesische Meer und die Taiwanstraße. Die Insel Taiwan entstand vor ca. 4 bis 5 Millionen Jahren an einer komplexen konvergenten Grenze zwischen der Philippinischen Meeresplatte und der Eurasischen Platte. Die Gesamtfläche des heutigen Hoheitsgebiets der Republik China beträgt 36.193 km2, etwas kleiner als die Schweiz. Die geschätzte Einwohnerzahl liegt bei etwa 23 Millionen.

Die formosanischen Sprachen, ein Zweig der austronesischen Sprachen, werden seit Jahrtausenden von den taiwanesischen Ureinwohnern in Taiwan gesprochen. Die offizielle Sprache Taiwans ist Mandarin-Chinesisch.

Außerdem gehören 70 % der Bevölkerung zur Volksgruppe der Hokkien und sprechen neben Mandarin auch Hokkien als Muttersprache. Die Hakka-Gruppe, die etwa 14-18% der Bevölkerung ausmacht, spricht Hakka. 

Die Kultur Taiwans ist eine Mischung aus der vorherrschenden Han-chinesischen Kultur und der Kultur einiger taiwanesischer Ureinwohner sowie japanischen Kulturelementen und westlichen Werten, die oft sowohl in traditionellen als auch in modernen Auffassungen wahrgenommen werden.

Seit mehr als 25 Jahren wächst die anthroposophische Arbeit in Taiwan, wegweisend war die Waldorfpädagogik, jetzt wächst das Interesse an der Anthroposophischen Medizin und der biologisch-dynamischen Landwirtschaft.
 
Im Jahr 2006 wurde eine KOLISKO-Konferenz in Taiwan abgehalten und 2010 begann eine erste IPMT (anthroposophische medizinische Ausbildung). Die Teilnehmer des 5-Jahres-Kurses bestanden aus Ärzten, Apothekern, Therapeuten und Lehrern, die an der Entwicklung einer ganzheitlichen Gesundheitserziehung und Lebensweise für die zukünftige Generation interessiert waren. Es hat dazu geführt, dass sich immer mehr Ärzte in Taiwan mit der Anthroposophischen Medizin beschäftigen. 

Im August 2015 kehrte ich aus der Schweiz, wo ich ein Praktikum absolvierte, nach Taiwan zurück, um an einem Heilpädagogik-Kurs teilzunehmen, der von Dr. Renata Wispler im IPMT unterrichtet wurde. Weitere Kurse zum Thema "Heilpädagogik und Waldorfschularzt" folgten jährlich bis 2019. Dr. Renata unterrichtete Ärzte, Therapeuten, Psychologen, Krankenschwestern und Heilpädagogen etc. in Child Study, Kinderbeobachtung und praktischen Fertigkeiten für Erziehung, Medizin und Familienleben. Wir wurden durch ihren Unterricht bereichert und inspiriert, es führte zu meiner Arbeit mit Heileurythmie an der Ci-Xi Waldorfschule im Jahr 2016.

Die Eltern finanzieren die Heileurythmie privat. Eine andere Schule, die Ji-Shi Waldorfschule, hat die Heileurythmie inzwischen ebenfalls aufgenommen. Ihre kleinen Klassengrößen kommen den Bedürfnissen von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf besonders entgegen. Die SEN-Koordinatorin organisiert den Unterricht der Kinder und stellt die Verbindung zum Therapie- und Ärzteteam her

Die Ci-Xi Waldorfschule ist die größte Waldorfschule in Taiwan. Die Schule bietet Kindergarten bis Klasse 12 an. Sie bietet Klassen für Kinder mit Lernschwierigkeiten an, bis 2015 unterstützt von einem deutschen anthroposophischen Arzt, jetzt von einem taiwanesischen Arzt, Dr. Hsu, Wen-Ting.

2016 wurde das Team der Anthroposophischen Mediziner gegründet. Mitglieder sind Lehrer, Sonderpädagogen, Ärzte, Therapeuten, Psychologen, Krankenschwestern und Heilpädagogen. Es finden regelmäßig Kinderstudien statt.  Alle Teilnehmer bereiten Beiträge vor und geben ihr Fachwissen weiter. Es wird ein Therapieplan erstellt und es ist bewegend, die selbstlose Liebe und Fürsorge für das Kind zu spüren, verwoben mit der festen und warmen Kraft aus dem Herzen der anderen. Allein diese Kraft wirkt sich auf den Selbstheilungsprozess des Kindes aus, und als Reaktion darauf sind häufig "magische" Veränderungen zu beobachten.

Im November 2017 habe ich begonnen, an einem Tag in der Woche Eurythmie in der Ci-Xi Waldorfschule zu unterrichten. Einige Kinder konnte ich auch nach der Schulzeit zur Therapie betreuen.  Im November 2018 verlegte ich meine heileurythmische Arbeit in die "I Mirror Natural Clinic". Die Klinik wurde im Dezember 2017 von Dr. Wu, Jing-Wen gegründet und bietet neben dem schulmedizinischen Angebot auch Anthroposophische Medizin, Beratung und Familienpsychodynamik, Rhythmische Massage und Quantum Touch Therapie an. Das Team trifft sich von Zeit zu Zeit, um sich über Perspektiven oder Fortschritte der Patienten auszutauschen.

Ich bin derzeit die einzige Heileurythmistin in Taiwan, fühle mich aber nicht einsam. Ich bin dankbar, dass ich wie beschrieben mit Kollegen lernen, arbeiten, Erfahrungen und Fähigkeiten austauschen kann. Wir würden mehr Heileurythmisten willkommen heißen, um einen belastbaren, starken, ätherischen Heilstrom aufbauen zu helfen.

Nehmen Sie die Einladung an …

Stellen Sie sich ein kleines Land im Herzen von Europa vor. Darin eine alte konservative Stadt und darin ein quadratisches Schulgebäude aus der kommunistischen Zeit. Die Tschechische Republik, die Stadt Písek, eine Waldorfschule. Dies ist der Schauplatz für meine Geschichte über die Heileurythmie in der Schule.

Vor zehn Jahren haben meine Kollegin und ich uns sehr um die Einführung der Schuleurythmie bemüht. Dies erwies sich als eine gute Vorbereitung für die Einführung der Heileurythmie in einer Waldorfschule einige Jahre später. Wir haben es von Grund auf neu aufgebaut, buchstäblich. Bei der Suche nach einem Raum, in dem HE durchgeführt werden konnte, mussten wir unsere innere Flexibilität üben, was kein großes Problem war, aber wir erhofften diese Einstellung auch von sechs anderen KollegInnen, und das erwies sich als schwieriger. Schließlich haben wir fast keine Klassenräume in der Schule und jeder Quadratmeter ist kostbar. Also zerbrachen wir uns den Kopf und schafften es schließlich, ein Angebot zu machen, das man nicht ablehnen konnte. Wir haben ein kleines Lager entrümpelt und sortiert. Wir gaben unsere wertvollen Schreibtische und Sitzgelegenheiten auf, ließen von einem Schreiner sparsame vier Schreibtische und Regale anfertigen und kauften weiche Kissen für die abgenutzten Stühle. Erst dann haben wir den sechs KollegInnen vorgeschlagen, aus der heruntergekommenen Kabine in den neuen Raum umzuziehen. Dies war tatsächlich unser erster therapeutisch-eurythmischer Auftrag, der viel Fingerspitzengefühl erforderte, aber angesichts der stagnierenden Reaktion offensichtlich notwendig war.

Neben dieser freien Tätigkeit begannen wir mit einer intensiveren Pflege einer herzlichen Beziehung zur Eurythmie und einem Bewusstsein für ihren Nutzen für die Kinder, KollegInnen und Eltern der Schule. Dabei hatten mein Kollege und ich den großen Vorteil, dass wir schon lange an der Schule waren und unsere Arbeit eine sichtbare Basis geschaffen hatte. Wir haben fleißig Elterntreffen besucht und Öffentlichkeitsarbeit geleistet. Wir sind oft darauf gestoßen, dass die Eltern an unserer Schule in der Regel mit den Grundlagen der Waldorfpädagogik nicht sehr vertraut waren, geschweige denn einen anthroposophischen Hintergrund hatten. Auch hier war es eine schöne Herausforderung, alles in verständlichen Worten zu formulieren und nicht in „anthroposophischem Jargon“ zu schwadronieren.

In der Schule haben wir ziemlich regelmäßig Eurythmie geübt. Indem wir sowohl freudige als auch erhabene Übungen einbezogen haben, ist es uns gelungen, ein schönes Erlebnis zu schaffen, das voll von gesundem Atem ist. Dann mussten wir nur noch gekonnt darauf hinweisen, dass genau das die Eurythmie kann und die KollegInnen stimmten positiv ein. In der Folge hatten die allermeisten von ihnen kein Problem damit, die Kinder aus dem Unterricht für die Heileurythmie-Einheiten zu entlassen, was sie sich vorher nur schwer vorstellen konnten.

Nach vier Jahren, in denen wir sowohl Schul- als auch Heileurythmie in der Schule betreiben, gibt es immer noch genug interessierte Kinder für zwei TherapeutInnen. Manche Eltern wollen ausdrücklich nicht, dass ihre Kinder die Schule verpassen, und manche Kinder wollen auch nichts verpassen, deshalb habe ich sowohl vormittags als auch nachmittags Arbeit. Die meisten Kinder gehen einmal in der Woche, die kleineren mit ihren Eltern, und ab der vierten Klasse gehen sie oft allein, und dazwischen üben sie täglich zu Hause. 

Es ist sehr auffällig, ob die Übungsepoche im Herbst oder am Ende des Schuljahres stattfindet. Der Herbst und der Beginn des Schuljahres sind die besten, die Entnervung der menschlichen Seele und die Empfänglichkeit für sich selbst sind natürlich erhöht, und der Fortschritt ist tendenziell am größten. Jetzt im Juni hingegen muss ich mich selbst, die Eltern und die Kinder darauf einstellen, dass es Arbeit sein wird, die sich aber lohnt.

Im Spektrum der Fragestellungen sind Lernschwierigkeiten und konstitutionelle Dinge ebenso vertreten wie spezielle Bereiche wie verzögerte Zahnentwicklung, Kurzsichtigkeit, Asthma, Ekzeme, Epilepsie und viele andere.

Einer der größten Vorteile der Arbeit in einer Waldorfschule ist für mich, dass ich viele der Kinder in Eurythmie unterrichte, ich habe sie oft vertreten, sie kommen in meinen Theaterclub, ich gehe mit ihnen in die Freiluftschule, in die Berge, kurzum ich kenne sie. Ihr familiärer Hintergrund, was sie im Klassenzimmer tun, ihre Bewegungen, usw.  Während der Übungsepoche treffe ich sie auf dem Flur und fungiere allein dadurch ein bisschen wie ein Gewissen für die Jugendlichen, ob sie gestern zu Hause geübt haben…die Kleineren winken wütend und springen mir in die Arme, weil unsere Beziehung durch die therapeutische Eurythmie tiefer ist als die ihrer KlassenkameradInnen. Sie sind dann eine Unterstützung im Eurythmieunterricht mit der Klasse. Sie wissen es. Genauso verhält es sich mit meinen KollegInnen.

Im Gegensatz dazu ist der Wechsel von der Rolle der Lehrerin/des Lehrers in die Rolle der Therapeutin/des Therapeuten eine große Herausforderung. Natürlich meine ich den internen, aber es gibt mehr als genug Verkleidungen.

Schöne Arbeit, anspruchsvolle Arbeit. Vielen Dank dafür.

Mit Demut zu den Kindern